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"Spurensuche - Menschen mit Demenz besser verstehen"

Klingenmünster

250 Teilnehmer bei zweitem Fachtag Demenz am Pfalzklinikum

Gerontologin Dr. Marion Bär plädierte beim zweiten Fachtag Demenz für eine verstehende Diagnostik und eine gemeinsame Suche nach Lösungen.

Klingenmünster. „Ich sitze mit Frau D. in ihrem Wintergarten und frage mich, was gerade schief läuft in ihrem Leben. Die früher so ordentliche Wohnung sieht chaotisch aus. Oft will sie noch spät abends etwas besorgen gehen. Die Menschen im Quartier kennen sie und bringen sie nach Hause zurück. Ihre Kinder versuchen so oft es geht da zu sein und schlafen nachts mit dem Handy unterm Kopfkissen. Trotzdem wirft sie ihnen vor, nur ihr Geld zu wollen. Sie misstraut den Kindern.“ So schilderte Dr. Marion Bär, Gerontologin vom Institut für Gerontologie in Heidelberg, Szenen aus dem Leben einer demenzkranken Frau. Das Forum Demenz des Kreises Südliche Weinstraße und der Stadt Landau hatte am 22. März zum zweiten Fachtag Demenz an das Pfalzklinikum eingeladen. Mit über 250 Teilnehmern, die als Fachkräfte in der Pflege arbeiten oder mit dem Thema Demenz zu tun haben, war der Tag gut besucht.

In seinen Grußworten betonte Pfalzklinikum-Geschäftsführer Paul Bomke, wie wichtig es ist, Menschen mit Demenz zu verstehen und auch die Angehörigen mit einzubeziehen. „1,6 Millionen Menschen in Deutschland sind derzeit an Demenz erkrankt. Daher gibt es nur noch wenige Familien in Deutschland und in Rheinland-Pfalz, die nicht von dem Thema betroffen sind“, sagte der erste Kreisbeigeordnete des Landkreises Südliche Weinstraße Marcus Ehrgott in seinem Grußwort. Die Koordinatorinnen des Forums Demenz, Heike Neumann und Ulrike Sprengling, stellten die Arbeit des 2010 gegründeten Forums kurz vor. Zur Projektarbeit gehören unter anderem Schulungen für Ehrenamtliche, Zoobesuche für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz und ihre Begleiter und jährliche Kinovorführungen am Welt-Alzheimertag am 21. September. Durch das Programm des Fachtages Demenz führten Rita Becker-Scharwatz vom Pfalzklinikum und Gerda Schäfer von der Ökumenischen Sozialstation Annweiler – Bad Bergzabern.

„Bei Demenz handelt es sich um eine Lebensabend-Krankheit. Etwa zehn Prozent der 80-Jährigen sind davon betroffen, bei den über 90-Jährigen sogar jeder Dritte“, erläuterte Dr. Markus Fani, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie des Pfalzklinikums in seinem Vortrag. „Da die Krankheit im Gehirn abläuft, ist das Zusammenspiel vieler Systeme wie Wahrnehmung, Affekt und Sozialverhalten betroffen. Die drei Stadien sind Vergesslichkeit, Verwirrtheit und Hilflosigkeit. Bisher gibt es noch keine Heilung, aber Medikamente, die den Verlauf stoppen. Eine frühe Therapie ist hier ein großer Zugewinn“, so Fani.

„Sich verloren fühlen, immer wieder an Grenzen kommen. Was vorher einfach war, wird plötzlich anstrengend“, so beschrieb Dr. Marion Bär in ihrem Vortrag die Gefühle von Betroffenen. Sie betonte, dass Äußerungen und Verhaltensweisen von Demenzkranken einen Sinn und eine Geltung haben, auch wenn sie von der objektiven Realität abweichen. „Für Pflegepersonen und Angehörige ist es nicht notwendig, alles immer sofort zu verstehen, was jetzt gerade ist“, so Marion Bär, die für eine verstehende Diagnostik und eine gemeinsame Suche nach Lösungen plädierte. „Wertschätzung, Vertrautheit, Verlässlichkeit und ein angepasstes Tempo geben Menschen mit Demenz Halt. Man sollte auch die Person jenseits der Demenz sehen und Begegnungen und Momente schaffen, in denen die Krankheit bedeutungslos wird. Betroffene haben häufig noch emotionale Bindungen zu Angehörigen, Dingen, Aufgaben und Erinnerungen. Hier kann man positive Alltagssituationen schaffen, etwa, wenn Kinder zu Besuch kommen oder ein altes Foto Erinnerungen hervorruft. Das können dann Lichtblicke des Tages für den Betroffenen sein.“

Dass hinter scheinbar unerklärlichen Verhaltensweisen auch Kriegstraumata stecken können, erklärte der Diplompädagoge und Gesundheitswissenschaftler Dr. Udo Baer. Dazu lieferte er anschauliche Beispiele. Eine ältere Frau in einem Pflegeheim bekam Panik bei Gewitter, weil sich der Donner anhörte wie der Artilleriebeschuss im Zweiten Weltkrieg. „Die Betroffene erlebt die Situation dann so, als würde der Beschuss jetzt stattfinden. Das kognitive Gedächtnis ist nicht mehr zugänglich, aber das Traumagedächtnis funktioniert noch gut. Schwierig wird es dann, wenn eine Pflegekraft zu der Frau sagt, das Gewitter sei doch gar nicht schlimm“, so Dr. Udo Baer. Auch Menschen, die unruhig hin und her wandern, können von Kriegstraumata betroffen sein. „Diese sollte man dann eher mal fragen, wovor sie weglaufen, etwa vor Soldaten, die sie immer noch vor sich sehen.“ Manche Menschen möchten sich auch abends nicht ausziehen lassen und am liebsten in ihren Kleidern schlafen, weil sie nachts Bombenalarme erlebt haben. „Wenn plötzlich eine heftige emotionale Reaktion in einer Alltagssituation kommt, könnte ein Kriegstrauma dahinter stecken“, berichtete Dr. Udo Baer. Er rät Fachkräften, die mit dem Thema Demenz zu tun haben, das Verhalten der Betroffenen zu verstehen und ihnen zuzuhören. „Da fast alle traumatisierten Menschen in ihrem Selbstwertgefühl beeinträchtigt sind, haben wir Stärkungs- und Wertschätzungsgruppen ins Leben gerufen, die auch viel Anklang fanden. Außerdem haben wir die Frage gestellt, was sie bei Kriegsende getröstet hat. Heraus kam, dass sich die Menschen in dieser Zeit sehr allein fühlten, weil sie das Erlebte nicht erzählen konnten oder durften. Viele von ihnen konnten später auch ihre Kinder nicht trösten, weil sie selbst nicht getröstet waren.“ Laut dem Gesundheitswissenschaftler sind einfache Dinge im Alltag wichtig, wie etwa den Menschen nicht allein lassen oder seine Hand halten.

Theorie und praktische Unterweisungen zum Umgang mit Herausforderung bei Menschen mit Demenz gab es nach der Mittagspause. Uwe Pester von Prodema ging auf Besonderheiten in der verbalen Deeskalation ein. Der nächste Fachtag Demenz steht in zwei Jahren an. Bereits in seinen Grußworten betonte Paul Bomke die südpfälzische Gastfreundschaft und sagte: „Gerne wieder am Pfalzklinikum.“

Kontakte:
Rita Becker-Scharwatz, Fachbereichsleitung Regionale Angebote - Leben im Alter am Pfalzklinikum, Tel. 06349 900-4509, E-Mail: rita.becker-scharwatzpfalzklinikum.de

Heike Neumann, Kreisverwaltung Südliche Weinstraße, Amt für Gesundheit und Soziales, Tel. 06341 940-616, E-Mail: Heike.Neumannsuedliche-weinstrasse.de

Ulrike Sprengling, Stadtverwaltung Landau in der Pfalz, Tel. 06341 135016, E-Mail: ulrike.sprenglinglandau.de