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"Man kann immer Nein sagen" - Bewegende Gedenkveranstaltung im Pfalzklinikum
Zu erfahren, was vor 70 Jahren in Hartheim geschah, wie es geschah und wer es geschehen machte, verdanken die Teilnehmer an der Gedenkveranstaltung Mireille Horsinga-Renno und ihrem Buch "Der Arzt von Hartheim" sowie dem Kulturwissenschaftler Dr. Christof Beyer, der die Autorin ins Pfalzklinikum einlud. Er, fast gleichaltrig mit dem damals jungen Hartheimer Tötungsarzt, skizziert zu Beginn der Veranstaltung, was Dr. Georg Renno im Hartheimer "Schloss" tat. Sie, die Großnichte Rennos aus dem Elsass, liest anschließend, wie sie "Onkel Georg" in den 1980er Jahren in der Pfalz kennen lernte: gutaussehend, gastfreundlich, kultiviert. Auf der Suche nach familiären Wurzeln in Bad Bergzabern, Dörrenbach, Kapsweiher hatte sie ihn schließlich glücklich gefunden, doch dann kam sie hinter sein unglaubliches Geheimnis: Unter falschem Namen hatte er nach dem Krieg wieder als Arzt für die Pharmafirma Schering gearbeitet, war nach Großbockenheim gezogen, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1997 lebte, ohne für seine Morde verurteilt worden zu sein - er hatte sich nach der späten Anklage (1969) verhandlungsunfähig schreiben lassen. Und er bereute nichts, bis zuletzt. Für ihn waren die von seiner Hand ermordeten Menschen "Ballastexistenzen im deutschen Volkskörper", "unnötige Esser".
Erschüttert und sehr berührt nehmen die Zuhörer das Angebot der früheren Sekretärin eines Kölner Büros der französischen Botschaft an, mit ihr zu diskutieren, Fragen zu stellen zu Ihrer Spurensuche. Spuren, die deutlich machen, wohin blinder oder vorauseilender Gehorsam führen kann. Wohin es führen kann, wenn strenge Hierarchien es dem einzelnen schwer machen, seine Verantwortung wahrzunehmen. Wenn Kinder "zu Siegertypen" gedrillt werden. Wenn Karriere, Geld und Macht berauschen. Wenn sich Gefühle nicht mehr spüren lassen. Wenn die Natur uns kalt lässt. Wenn "das Ganze" aus dem Blick gerät und jeder sagt: "Aber ich hab doch nur ..." die Liste ausgefüllt, den Bus bestellt, die Patienten "reisefertig" gemacht. Wenn ein anderes Leben nicht mehr zählt...
"Und schon damals die Angst, ein Volk schaffe sich ab", schlägt der evangelische Klinikpfarrer Wolfgang Roth einen Bogen in die Gegenwart. Gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Michael Reis und Bezirkskantor Maurice Croissant hatte er zuvor einen bewegenden Gottesdienst gestaltet. "Denken wir an die Demenzkranken heute", greift der Ärztliche Direktor Prof. Reinhard Steinberg diesen Gedanken auf, "dass wir nicht fragen: Welches Leben ist mehr wert? Wo sind die Fallen für uns heute?"Mireille Horsinga-Renno antwortet: "Man kann immer NEIN sagen." Mit ihrem Mut, so klar Position zu beziehen und mit ihrer Familiengeschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, habe die Autorin "einen großen Beitrag geleistet", um zu verstehen, dass es keine einfache Trennung zwischen "Gut" und "Böse" gebe, sagt die Psychologin und Personalrätin Juliane Dohren.
Geschäftsführer Paul Bomke dankt Mireille Horsinga-Renno für ihre Bereicherung der Erinnerungsarbeit am Pfalzklinikum. "Gedenkarbeit ist für uns eine wichtige Arbeit für die Zukunft", sie habe auch die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und Behinderungen zum Ziel. Bomke kündigt an, dass am 10. Juni drei Tafeln auf der Gedenkstätte eingeweiht werden. Was darauf geschrieben sein wird, hatte Ruth Ratter, Mitglied des Bezirkstags Pfalz und des Gedenkbeirats beim Bezirksverband, zuvor in ihrer Rede an der Skulptur von Volker Krebs zitiert: "Von 1941 bis 1945 kamen in der Anstalt (Klingenmünster) insgesamt über 2.200 Patientinnen um - etwa 1.700 mehr als in vergleichbaren Zeiträumen vor dem Krieg. Zeitweise gab es keine Särge für Bestattungen. Viele Opfer wurden in den Kriegsjahren an diesem Ort in unwürdiger Weise begraben, zum Teil auch in Massengräbern." Und bevor sie gemeinsam mit Landrätin Theresia Riedmaier, Ortbürgermeister Erwin Grimm und Geschäftsführer Paul Bomke einen Kranz niederlegt, sagt sie: "Heute stellen wir uns der Aufgabe, das Wissen um das Geschehene wach zu halten, damit auch kommende Generationen sich erinnern können.
Mireille Horsinga-Renno und ihr Ehemann treffen bei der Gedenkveranstaltung in Klingenmünster eine Großcousine , die sie erst vor ein paar Wochen gefunden hatte. Die Südpfälzerin hatte beim Googlen des Namens Renno das Buch von Mireille entdeckt. Die Großcousine ist Lehrerin und arbeitet täglich mit jungen Menschen. Dass die sich sehr wohl für lebendige Geschichte interessieren, zeigen die etwa 50 Krankenpflegeschülerinnen und Schüler, die in der Kirche des Pfalzklinikums sehr aufmerksam zuhörten.