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Hermann Krämer im Pfalzklinikum: "Ich bin okay auch mit den Tics!"

Klingenmünster

Am 7. Juni ist Europäischer Tag des Tourette-Syndroms

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als Hermann Krämer seinen Vortrag hielt. So gebannt folgten die Zuhörer den Mut machenden Erfahrungen von Hermann Krämer.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als Hermann Krämer seinen Vortrag hielt. So gebannt folgten die Zuhörer den Mut machenden Erfahrungen von Hermann Krämer.

Klingenmünster/Speyer. Anlässlich des Europäischen Tages des Tourette-Syndroms am 7. Juni 2014 finden in Europa mindestens sieben Aktivitäten statt. Das berichtet die Homepage www.tourette-syndrom.de, die von Hermann Krämer aus Speyer betrieben wird. Klingenmünster in Rheinland-Pfalz und Erlangen in Franken/Bayern beteiligen sich in Deutschland, weiterhin sind Norwegen und Belgien genannt.  Darüber hinaus haben sich mehrere europäische Tourette-Gesellschaften am "Tourette-Awareness-Video" beteiligt, das am 7. Juni bei www.youtube.comhochgeladen wird. So soll die Bekanntheit des Syndroms und die Bewusstheit für die Erkrankung ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.

Zur Auftaktveranstaltung "Ich ticce, also bin ich etwas anders" am 4. Juni im südpfälzischen Klingenmünster wurde Hermann Krämer herzlich begrüßt. Dr. Sylvia Claus als einladende Chefärztin aus dem Pfalzklinikum  und Vorsitzende des Bündnisses gegen Depression Landau - Südliche Weinstraße e. V., freute sich zusammen mit den mehr als  50 Gästen über den ansprechenden Vortrag eines "Experten aus Erfahrung". Depression sei übrigens eine Erkrankung, die häufig bei Ticcerinnen und Ticcern auftrete, ebenso wie AD(H)S, Schlafstörungen, Angst- und Zwangsstörungen.

Hermann Krämer betonte zu Beginn seiner visuellen Präsentation, dass es vor einigen Jahren undenkbar gewesen sei, als Betroffener in einer psychiatrischen Klinik einen öffentlichen Vortrag halten zu dürfen, geschweige denn, dass ihm auch Ärzte, Therapeuten, Krankenschwestern und andere professionell im Krankenhaus Tätige zugehört hätten. In seiner Jugend sei die neuropsychiatrische Erkrankung nur sehr wenigen Ärzten bekannt gewesen. Es gab weder Selbsthilfegruppen noch Ansprechpartner oder allgemeinverständliches Info-Material. Um das zu ändern, habe er sich der 1993 gegründeten Tourette-Gesellschaft angeschlossen und sich vor allem für die Öffentlichkeitsarbeit engagiert, u. a. mit einer 50-seitigen Broschüre über das Leben des Namensgebers der Erkrankung, den französischen Psychiater  Georges Gilles de la Tourette (1857 - 1904).  Der 58 Jahre alte Referent sprach sehr persönlich über seine eigenen Erfahrungen mit der Erkrankung, die  ihn seit seinem zwölften Lebensjahr begleitet. Trotz der unwillkürlichen Bewegungen seines Körpers oder der unwillentlich hervorgebrachten Laute habe er Spaß am Leben und verstecke sich nicht. Er habe gelernt, dass Stress die Tics verstärke, dagegen wirke sich zum Beispiel Entspannung und Musizieren positiv aus. Deshalb liebe er es besonders, Gitarre zu spielen.

Auf seiner Website informiert Hermann Krämer über die verschiedenen Facetten der Tic-Störung. Er gibt Auskunft über Tourette-Ambulanzen, Therapie-Optionen und geht auf wissenschaftliche Arbeiten ebenso ein wie auf mögliche Schulprobleme. Weil er sich noch gut erinnern kann, wie es sich anfühlt, wenn man auf dem Schulhof gehänselt wird, und weil er ein kreativer Mensch ist, hat er den Saurier Ticco erfunden und seine Geschichte aufgeschrieben. Gemeinsam mit Susanne Ohlert, die Ticco mit ihren Zeichnungen zu noch mehr Sympathie verhalf, hat er ein Kinderbuch gestaltet, das die Tourette-Gesellschaft Deutschland e. V. herausgegeben hat. Zusammen wollen sie betroffenen Kindern und ihren Familien helfen, mit der Erkrankung  zu leben. "Ich bin okay  auch mit den Tics!" Das ist der letzte Satz von Ticco im Buch und den hat sich Hermann Krämer selbst "hinter die Ohren geschrieben".

Er bekam viel Beifall im Pfalzklinikum, wo er schon zum zweiten Mal zu Gast war. Nach dem Vortrag konnte er in persönlichen Gesprächen noch einigen Betroffenen Mut machen, ihr Anders-Sein anzunehmen und sich ihrer Besonderheiten zu freuen, egal ob sie besonders sensibel, intelligent oder verträumt sind. Selbst gestaltete Postkarten ergänzten mit ihrer frischen Farben die Palette blauer  Broschüren von der Tourette-Gesellschaft. Damit  bringt Hermann Krämer  wichtige Botschaften auf den Punkt: "Tics sind nicht ansteckend", "Touretter/innen wollen mit ihren Symptomen niemanden provozieren" und:  "Ich ticce zwar, aber blöd bin ich nicht!".