Gedenkarbeit

NS-Psychiatrie in Klingenmünster: Auch die Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster war an verbrecherischen Maßnahmen der NS-Psychiatrie beteiligt.

Am 10.9.1939 wurde nach einem abgestimmten Plan zur „Freimachung der grenznahen roten Zone“ die Heil- und Pflegeanstalt in Klingenmünster geräumt und ihre Patientinnen und Patienten sowie das gesamte Ärzte- und Pflegepersonal in andere bayerische Anstalten verlegt. Untersuchungen belegen, dass mindestens 223 Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster aus den bayerischen Heil- und Pflegeanstalten in „Reichsanstalten“ überführt und dort ermordet wurden. Etwa 1700 weitere Patienten starben in Klingenmünster durch gezielten Nahrungsentzug, unterlassene Hilfe und vermutlich auch durch Überdosierung von Medikamenten. Zudem war die Anstalt aktiv in die NS-Erbgesundheitspolitik und die Durchführung von Zwangssterilisationen in der Pfalz eingebunden.

Ausschuss für Gedenkarbeit und Geschichte

Die historische Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus an psychisch kranken und behinderten Menschen ist Auftrag und Mahnung für die Gegenwart und Zukunft. Das Pfalzklinikum stellt sich dieser Verantwortung . Es betreibt aktive Aufklärung über die historischen Ereignisse und verdeutlicht die Bezüge zu Problemfeldern der gegenwärtigen Versorgung im Bereich der seelischen Gesundheit. Der Ausschuss für Gedenkarbeit und Geschichte der Psychiatrie des Pfalzklinikums wurde 2011 konstituiert, um diese Aufgabe wahrzunehmen. Er wirkt als Impulsgeber für die Auseinandersetzung mit der NS-Psychiatrie. 

Akteneinsicht

Wenn Sie Auskunft zum Schicksal von Angehörigen wünschen, die während der NS-Zeit in der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster waren, unterstützen wir Sie gern. Sie können sich an die Mitarbeiterinnen der Gedenkarbeit wenden (Tel. 06349/900-1861, gedenkarbeitpfalzklinikum.de) oder direkt an das Landesarchiv Speyer, in dessen Eigentum sich die historischen Akten befinden:

Landesarchiv Speyer 
Otto-Mayer-Str. 9  
67346 Speyer
Tel. 06232 9192-0

Einige Stationen der Aufarbeitung und des Gedenkens am Pfalzklinikum

Die vom Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde herausgegebene Dokumentation "Die Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster 1933 - 1945" der Autoren Karl Scherer, Otfried Linde und Roland Paul gibt Zeugnis vom Forschungsstand bis 1998.

1993 wurde ein Gedenkstein für die Opfer der NS-Psychiatrie eingeweiht. Er trägt die Inschrift: "Den Opfern der nationalsozialistischen Psychiatrie zum Gedenken – den Lebenden zur Mahnung".

Seit 1996 wird bundesweit am 27. Januar der nationale Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen, so auch im Pfalzklinikum. Es finden Gedenkveranstaltungen statt, die auf große Resonanz bei Mitarbeiter*innen, Patient*innen und Angehörigen sowie bei den Menschen der Region stoßen.

Die "Pfälzische Gedenkstätte für die Opfer der NS-Psychiatrie" wurde am 11. April 2008 auf dem Klinikfriedhof in unmittelbarer Nachbarschaft des Klinikgeländes in Klingenmünster eingeweiht.

Im Rahmen eines Promotionsstipendiums bearbeitete der Kulturwissenschaftler Dr. Christof Beyer von 2007 bis 2009 die 150-jährige Geschichte des Pfalzklinikums. Dabei beleuchtete er selbstverständlich auch das dunkelste Kapitel der Klinikvergangenheit angemessen. Die Promotion wurde ermöglicht durch den Bezirksverband Pfalz. Die Forschungsergebnisse von Dr. Christof Beyer wurden vom Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern herausgegeben. Das Buch trägt den Titel: "Von der Kreisirrenanstalt zum Pfalzklinikum. Eine Geschichte der Psychiatrie in Klingenmünster". 

2011 reichte Dr. Gabriele Caprano-Diehl ihre Dissertation mit dem Titel „Übersterblichkeit in der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster in den Monaten vor und nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Lässt ein Vergleich des Quellenmaterials eine Bereitschaft zur „wilden Euthanasie“ vor Kriegsende erkennen?“ an der Universität Koblenz / Landau ein, die 2012 beim Tectum Verlag erschienen ist.

Ebenso erschien 2012 der Sammelband „150 Jahre Pfalzklinikum. Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Klingenmünster“ von den Herausgebern Reinhard Steinberg und Monika Pritzel im Franz Steiner Verlag.

Am 18. Januar 2012 wurde die Wanderausstellung "NS-Psychiatrie in der Pfalz" im Alleehaus (Gebäude 43) an der Klinikeinfahrt eröffnet, die später zur Dauerausstellung umgestaltet wurde. Die Ausstellung ist jeden Mittwoch von 14:30 Uhr bis 16 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Zusätzlich gibt es eine Wanderausstellung zum Ausleihen und einen virtuellen Rundgang. Alle weiteren Informationen zur Ausstellung finden Sie unter: www.ns-psychiatrie-pfalz.de.
 

Von Januar bis April 2014 zeigte das Pfalzklinikum als erste Einrichtung in Deutschland die Gast-Ausstellung "Im Gedenken der Kinder. Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit".

Die Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und die Zwangssterilisation standen im November 2016 im Mittelpunkt einer großen überregionalen Tagung am Pfalzklinikum. Sie stand unter der Schirmherrschaft des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation. Der Tagungsband „Der regional vernetzte Krankenmord. Die Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster / Pfalz in Verbindung mit Baden, Bayern, Elsass und Lothringen“ erschien 2018 im Psychiatrie Verlag.

Am 08.08.2019 wurde vor dem Hauptgebäude eine Stolperschwelle verlegt mit dem Schriftzug „Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster. Ab 1934 wurden mindestens 366 Menschen zwangssterilisiert. Im Zuge der Evakuierung der Anstalt am 10. September 1939 verlegte man 1251 Menschen in bayerische Anstalten. Von ihnen wurden mindestens 223 Menschen in Tötungsanstalten ermordet. Etwa 1700 Menschen ließ man in Klingenmünster von 1942 bis 1945 verhungern.“

Im gleichen Jahr jährte sich die Evakuierung der Klinik zum 80. Mal, daher wurde am 10.09.2019 erstmalig eine Gedenkveranstaltung an der Stolperschwelle ausgerichtet. Seit 2019 findet nun jährlich am 10.09. der klinikeigene Gedenktag an der Stolperschwelle vor dem Hauptgebäude des Pfalzklinikums statt.
 

Im Oktober 2019 veranstaltete das Pfalzklinikum Klingenmünster gemeinsam mit der Theatergruppe WeibsBilder e.V. aus Herxheim ein Theaterstück über eine Patientin der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster. Die Patientin Rosa B. wurde 1932 in die damalige Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster eingewiesen und entging nach der Evakuierung der Anstalt nur durch Zufall der „Euthanasie“-Aktion T4. Nach der Zurückverlegung starb sie jedoch im Jahr 1946 unter Umständen, die sich von denen des sogenannten „Hungererlasses“ der NS-Psychiatrie nicht wesentlich unterschieden.

Am 19.09.2022 wurden im Zuge einer Hybridveranstaltung die Forschungsergebnisse „Leid und Unrecht“ durch Professorin Dr. Maike Rotzoll und Dr. Christoph Beyer vorgestellt. In der Zeit von 1949 bis 1990 erfuhren Kinder und Jugendliche in der Behindertenhilfe und in der Psychiatrie in ganz Deutschland Leid und Unrecht. 2017 wurde die Stiftung Anerkennung und Hilfe gegründet, um die Betroffenen zu entschädigen. Die Arbeit der Stiftung wurde von einem Forschungsprojekt begleitet. Wissenschaftler von vier Hochschulen untersuchten Patientenakten aus 17 Einrichtungen in Deutschland, darunter auch solche der damaligen Pfälzischen Nervenklinik Landeck, dem heutigen Pfalzklinikum.

Im Rahmen der Gedenkveranstaltung stellte am 10.09.2023 der Autor Alfons Ludwig Ims sein Buch „Eine ‚asoziale‘ Pfälzer Familie“ vor. Er beschreibt darin, wie seine Familie in der NS-Zeit ausgegrenzt und stigmatisiert wurde. Unter anderem wurde die Mutter zwangssterilisiert und die Kinder kamen in Heime, zwei davon wurden nach dem Krieg in die „Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster“ verlegt.

An der Gedenkstätte und auf dem Gelände des Pfalzklinikums gibt es mehrere Orte des Gedenkens und der Erinnerung an die Opfer. Am 21.02.2024 wurden neue Stelen an den Gedenkorten aufgestellt, auf denen sich Besucher*innen über die Gedenkarbeit informieren können. 
 

Weiterführende Links

Ansprechperson

Rita Becker Scharwatz
Geschäftsführendes Mitglied Ausschuss für Gedenkarbeit

Malena Scherf
Koordinatorin Gedenkarbeit

Gwendolyn Rothhaß
Sekretärin Gedenkarbeit

Tel. 06349 900-1861
E-Mail: gedenkarbeitpfalzklinikum.de