Aktuelles

„Jedem das Seine“- ein Appell nicht wegzusehen oder wegzuhören

Aktuelles

Bundesweiter Gedenktag am 27. Januar im Pfalzklinikum

Postkarten mit der Inschrift des Eingangstores in Buchenwald erhielten alle Anwesenden am 27. Januar.

Klingenmünster. Mitarbeiter, Patienten, Klienten, Bewohner sowie Angehörige und Bürger der Region hatten sich am 27. Januar um 14 Uhr an der Gedenkstätte des Pfalzklinikums versammelt. Gemeinsam gedachte man der Opfer des Nationalsozialismus und setzte ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung. Theo Wieder, Vorsitzender des Bezirksverbands Pfalz und Verwaltungsratsvorsitzender des Pfalzklinikums, war der erste Redner. Er wies auf die Widersprüche und den Hohn der Inschriften an den Eingangstoren von Buchenwald, Auschwitz, Sachsenhausen und Dachau hin: „,Jedem das Seine‘ ist ein Satz, der viele Interpretationen ermöglicht. Für die Lagerinsassen kann es nur Hohn gewesen sein, ein böser Scherz, der demütigen sollte. Jeden Tag, an dem sie das Lager Buchenwald, auf dem Weg zu den Rüstungsfabriken verließen, bewacht von SS-Leuten, lasen sie auf diesem Tor ,Jedem das Seine‘, diese Worte waren nur von Innen heraus lesbar. Im Nationalsozialismus bedeutete diese Inschrift Sklavenarbeit, Folter, Mord, unsägliche Experimente und Judenvernichtung.“  Postkarten mit genau dieser Inschrift aus Buchenwald erhielten alle Anwesenden am Eingang des Klinikfriedhofs in Klingenmünster. Betrachtet man diese genauer, so sieht  man eine gewisse Ästhetik in der Schriftart und den Buchstaben. „Der Künstler war der überzeugte Kommunist Franz Ehrlich, der am Bauhaus bei Klee, Kandinsky und Gropius studiert hatte. 1934 wurde er wegen Verschwörung zum Hochverrat verhaftet und nach Buchenwald geschickt. Ein Jahr später erhielt er von der SS des Lagers den Befehl, die Inschrift zu entwerfen. Vielleicht wollte er deshalb selbst unter diesen schrecklichen Umständen etwas schaffen, das er stolz zeigen wollte, vielleicht war es auch ein Akt subtilen Widerstands, die Worte in Bauhausschrift zu gestalten,“ ergänzte Theo Wieder. Den Bezug zur Gegenwart stellte er durch die Fragen her, was wir getan hätten, wenn wir damals hätten leben müssen oder ob Deutschland derzeit vielleicht vor einer Bewährungsprobe im Umgang mit vielen Menschen, die als Flüchtlinge in unser Land kommen, steht: „Schauen Sie sich Leserbriefe, Statements in Facebook und anderen sozialen Medien oder Äußerungen von manchen Aktivisten der rechten politischen Szene an. Die nationalsozialistische Denkweise des ,Jedem das Seine‘ ist viel näher als uns lieb ist. Der Sprung vom Denken zur Tat ist nur noch ein kleiner Weg. Dies verpflichtet uns, bereits im Ansatz, jeglichem Gedanken einer Relativität menschlichen Lebens und menschlicher Würde entschieden entgegen zu treten. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn andere offen diskriminiert werden. Wir dürfen nicht weghören, wenn man sich mit abfälligen Sprüchen und Witzen über Frauen, Obdachlose, Behinderte oder Ausländer belustigt. Das bedarf des Mutes und ist meistens sehr unbequem. ‚Jedem das Seine‘ enthält eine zutiefst humanistische Botschaft. Handeln wir danach, wenn wir gefordert sind- jeden Tag,“ appellierte Theo Wieder.

Nach einem gemeinsamen Gebet, gestaltet von Pfarrer Christoph Bevier und Pastoralreferent Michael Reis, ging es zum neu gestalteten Teil des Klinikumfriedhofs. Um den Verstorbenen zu Gedenken und Licht in diesen Bereich zu tragen, erhielten die Anwesenden Windlichter, die auf dem Friedhof platziert werden konnten, außerdem wurden Fürbitten gesprochen. Am Gedenkstein, der nächsten Station,  trug Julitta Hinz, Pflegedirektorin des Pfalzklinikums, das Gedicht „ Ein Lied an Gott“ von Else Lasker-Schüler vor. „Als ich erfahren habe, dass es künftig eine Ausstellung zu den Werken von Else Lasker-Schüler  in der Pfalz geben wird, hat mich das inspiriert, für den heutigen Gedenktag ein Gedicht von ihr auszuwählen. Passend ist es auch, da die Dichterin deutsch-jüdische Wurzeln hatte. Sie konnte zu Beginn des Naziregimes zunächst in die Schweiz und dann nach Jerusalem emigrieren“, so Julitta Hinz.

Musik stellte den Schwerpunkt des anschließenden Gottesdienstes in der Klinikkirche dar. Die Pianistin Zhana Minasyan aus Mannheim spielte unter anderem Stücke von Anton Stepanowitsch Arensky, Vardapet Komitas und Claude Debussy und erzeugte eine emotionale, nachdenkliche Stimmung. Christoph Bevier rezitierte Gedichte von Nelly Sachs, einer Schriftstellerin mit jüdischen Wurzeln: „Nelly Sachs konnte Deutschland im Mai 1940 mit einem der letzten Flugzeuge verlassen, ihr Deportationsbescheid war bereits ausgefüllt. Sie verstarb 1970 in Schweden. Geprägt war sie nicht nur durch die NS-Verfolgung, sondern auch durch Aufenthalte in der Psychiatrie, die unmittelbare Auswirkungen ihres Traumas durch Flucht und Verfolgung waren. Die Poesie half ihr wieder ins Leben zurück.“  Michael Reis ergänzte den Gottesdienst durch zwei jahrtausendealte und hoffnungsvolle Zeugnisse aus der Bibel: den Psalm 22 und den Brief des Apostels Paulus an die Römer. Schlusspunkt des Gottesdienstes war ein kleines Experiment. Michael Reis bat die Anwesenden, sich über die Frage „was klingt bei mir nach“ auszutauschen. Hier ging es darum, sich mit seinem Sitznachbarn auszutauschen, was an diesem Gedenktag besonders berührt oder beschäftigt hat. Die durch diesen Austausch entstandene Dynamik wurde durch das letzte Stück der Pianistin von Frédéric Chopin unterstrichen.

Aktuelle Informationen zur Gedenkarbeit des Pfalzklinikums finden Sie unter:
www.pfalzklinikum.de
www.ns-psychiatrie-pfalz.de

Kontakt
Julitta Hinz, Pflegedirektorin
Tel. 06349 900-2050